Der griechische Balanceakt – SYRIZAs Suche nach Verbündeten und die Sonderrolle Deutschlands
Der griechische Balanceakt hat begonnen. Schnell hatte sich das siegreich aus den griechischen Parlamentswahlen hervorgegangene „Bündnis der radikalen Linken“ (SYRIZA) auf eine Koalition mit der rechtspopulistischen Partei der „Unabhängigen Griechen“ (ANEL) geeinigt. Das (einzige) verbindende Element der beiden äußerst unterschiedlichen Parteien ist die vehemente Ablehnung der strengen neoliberalen Reform- und Austeritätspolitik, die die sogenannte EU-Troika – bestehend aus Vertretern der Europäischen Kommission, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank – Griechenland und einigen anderen EU-Staaten auferlegt hatte, die im Zuge der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise massiv in Schieflage geraten waren.
Die Wirksamkeit dieser Rettungspolitik ist höchst umstritten: Während etwa deutsche Regierungspolitiker die harten Sparauflagen und Privatisierungen als alternativlos erachten, um angeschlagene Staaten wieder auf Vordermann zu bringen und „wettbewerbsfähig“ zu machen, finden andere – und darunter auch die neue griechische Regierung –, dass das genau Gegenteil davon eintrete. Die Austeritätspolitik sorge nicht für eine Gesundung, sondern schnüre den Ländern weiter die Luft ab. Yanis Varoufakis, der neue griechische Finanzminister, hatte dem kurz nach der griechischen Regierungsbildung nach Athen gereisten Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem recht unverblümt und selbstbewusst klargemacht, dass Griechenland an einer weiteren Zusammenarbeit mit der Troika nicht interessiert sei. Man wolle nur noch direkt mit den EU-Institutionen und dem Internationalen Währungsfond (IWF) sprechen. Ein Affront. Viele deutsche und Brüsseler Politiker zeigten sich daraufhin verschnupft bis empört.
Nun reisen Varoufakis und der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras durch verschiedene europäische Hauptstädte, um dort über einen anderen Umgang mit den immensen griechischen Schulden zu sprechen und einen Weg zu finden, der das Land wieder zu Atem kommen lässt.
Akis Georgakellos und Harris Mylonas schreiben auf Monkey Cage, dass der Verhandlungserfolg der neuen griechischen Regierung ganz wesentlich von der politischen Dynamik innerhalb der EU abhänge. Das mächtige Deutschland halte weiter unbeirrt an der bisherigen neoliberalen Austeritätspolitik fest, doch andernorts würden zunehmend Stimmen laut, die deren (weitere) Wirksamkeit bezweifeln. Der französische Präsident Francois Hollande böte sich eventuell als Mittler zwischen den Positionen an, auch Barack Obama sprach jüngst davon, dass Griechenland mehr Wachstum statt weiterer Sparbemühungen bräuchte. Für Tsipras komme es nun darauf an, so Georgakellos und Mylonas, eine funktionierende Allianz der Austeritäts-Skeptiker zu schmieden, die nicht allein aus EU-Kritikern und Oppositionskräften bestehe. Zugleich müsse er nach Innen die an ihn geknüpften hohen Erwartungen zumindest ansatzweise erfüllen – trotz leerer Staatskassen. Beides zusammen sei eine geradezu herkulische Aufgabe.
Eric Bonse sieht auf Lost in EUrope indes bereits erste Erfolge der Reisebemühungen Tsipras’. Bei seinen bisherigen Stationen auf Zypern, in Italien und Frankreich sei Tsipras durchaus auf Verständnis, Sympathie und Entgegenkommen gestoßen. Auch Jean-Claude Juncker, der Präsident der Europäischen Kommission, dürfte wohl weit weniger abweisend gegenüber Tsipras’ Anliegen sein, als man sich das von deutscher Regierungsseite wünsche, so Bonse. So könnte es durchaus passieren, dass sich Angela Merkel irgendwann ziemlich allein auf weiter Flur wiederfände.
Wie kommt es eigentlich, dass die deutsche Regierung, trotz erkennbarer – teils dramatischer – Fehlentwicklungen und im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Regierungen, unverdrossen am griechischen Spardiktat festhält?
Das fragt sich auch Frank Rose auf Fliegende Bretter. Er kommt zu dem Schluss, dass Merkel allem Anschein nach registriert habe, dass den meisten Wählern hierzulande die Härte der deutschen Regierung gegenüber Griechenland gut gefalle. Zwar würden so vor allem haltlose und stumpfe Ressentiments vom faulen Griechen und vom fleißigen, sparsamen Deutschen kultiviert, wenn sich darüber aber solide Mehrheiten an der Wahlurne erzielen lassen würden, sei dies Merkel recht.
Auch Robert Misik interpretiert Merkel in dieser Hinsicht vor allem als gewiefte Machtpolitikerin. So lange sich an der herrschenden öffentlichen Meinung in Deutschland nichts ändere, werde Merkel nicht von ihrem Kurs abweichen – ganz egal, ob das ökonomisch vernünftig sei oder nicht. Fast niemand – und vor allem nicht die mitregierenden Sozialdemokraten – vermöge es allem Anschein nach in Deutschland, aus dem hegemonialen Diskurs auszubrechen, der den Griechen die alleinige Schuld an ihrem Elend zuweist und in dessen Rahmen das ewige Mantra der „Wettbewerbsfähigkeit“ abgespult wird, für die man eben harte Schnitte in Kauf nehmen müsse. Misik findet das höchst bedenklich.
André Tautenhahn fragt sich auf Écrasez l’infâme, wer denn eigentlich angesichts des Verarmungs- und Verelendungsprogramms, das die EU-Troika Griechenland ohne Rücksicht auf Verluste auferlegt habe, die Radikalen seien: Die (vermeintlichen) Linksradikalen der SYRIZA oder doch eher die Regierenden in Berlin und Brüssel, die dies ganz maßgeblich mitgeplant und mitgetragen hätten?
Dass nun Varoufakis, der heute in Berlin zu Gast ist, Deutschland in einem ZEIT-Interview dazu auffordert, sich selbst als Hegemon zu verstehen, der Verantwortung für andere in der EU übernehmen müsse und zugleich einen Merkel-Plan – in Anlehnung an den Marshallplan, der den Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg einleitete – zur Einigung Europas ins Gespräch bringt, ist schon eine bemerkenswerte Volte im griechischen Balanceakt. Man darf auf die Reaktionen der deutschen Regierungsverantwortlichen gespannt sein.